Labyrinth


eine Kurzgeschichte von

Uwe Barth

© 2022

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Bilder: KI generiert mit Bing/Creator - 02.2024/KTH

Witterung

Der Geruch stieg ihm in die Nase und ließ ihn augenblicklich verharren. Eine Mischung von Seife und dieser speziellen Note, die nur Kindern anhaftete. Der erste Versuch die Quelle ausfindig zu machen schlug fehl. Aber davon lies er sich nicht entmutigen. Hier, in diesem Labyrinth aus Gestrüpp, riesenhaften Bäumen und feuchten, Wurzel-durchzogenen Tunneln, fand sich kein gerader Weg zum Ziel. Weder für seine Bewohner, noch für einen der seltenen Lufthauche wie jenen eben. Er setzte sich in Bewegung.

Kurze Zeit später kauerte er auf einer der gigantischen Wurzeln und presste sich an den Stamm. Die erhöhte Position bot verschiedene Vorteile: Geräusche und Gerüche ließen sich auf eine etwas größere Entfernung wahrnehmen und es ließ sich zumindest die ungefähre Richtung abschätzten. Freilich gab er damit aber auch praktisch jegliche Deckung auf, seine Gestalt war deutlicher zu erkennen, sein eigener Geruch würde viel weiter getragen werden. Zum Glück gab es auf dem Boden nichts, was ihm gefährlich werden konnte. Doch die Räuber, die in den Baumwipfeln oder gar darüber lebten, hatten ihn ganz sicher schon bemerkt und ihn auf ihren Speiseplan gesetzt.

Da! Wieder dieser Duft! Und das Knacken von Zweigen. Das Kind, das sich hierher verirrt hatte, schien keinerlei Erfahrung zu besitzen, sich leise durch einen Wald zu bewegen. Er beeilte sich den Abstand zu verringern. War er erst nahe genug heran, würde ihm kein anderer Jäger die Beute streitig machen.

Kennenlernen

„Marie!“

Die Stimme war deutlich zu verstehen und verriet ihm, das da ein Knabe auf ihm zukam. Der Junge bewegte sich stetig weiter. Er hatte seine Lauerposition gut gewählt; tief in einer Nische an der Seite des Pfades steckte er, von herabhängendem Grünzeug verborgen. Seine Beute würde mit nicht einmal einen halben Meter Abstand an ihm vorbeikommen.

„David!“

Eine zweite Stimme. Sie klang ebenfalls noch sehr jung, weiblich. Für einen Moment war er beunruhigt, doch als die ausbleibenden Geräusche ihm sagten, das sich niemand ihnen näherte, wurde er wieder ganz ruhig.

Dann war es endlich soweit. Er hechtete aus der Nische heraus und rammte sein Ziel mit der Schulter hart gegen die gegenüberliegende Wand. Dann fasste er sich einen der Arme und riss daran, schwang sein Opfer wieder und wieder von einer Seite auf die andere, bis es der Besinnungslosigkeit nahe war. Danach warf er es vor sich, mit dem Rücken auf den Boden, gab ihm Zeit, etwas zu sich zu kommen. Er mochte es die aufkommende Panik in den Gesichtern seiner Opfer zu sehen, sobald sie seiner gewahr wurden. Da, die Augen öffneten sich!

Instinktiv versuchte der Knabe von etwa 10 Jahren sich von ihm weg zu bewegen. Seine Arme und Beine zuckten und strampelten vor und zurück, doch er gewann nur ein paar Zentimeter. Gerade löste sich ein spitzer, lauter Schrei von ihm, als er dem Jüngling auch schon sein Knie in den Unterleib rammte. Das Geschrei verkam zu einem Gurgeln.

„David! David! Wo bist du? Was ist passiert?“

Er schätzte die Besitzerin der Stimme auf vielleicht zwölf Jahre, plus-minus. Aber — ach, leider würde David ihr keine Antwort mehr geben.

Ein Grinsen legte seine schartigen Zähne frei, während der Körper unter ihm vergeblich versuchte, sich gegen ihn zu stemmen. Die strampelnden Beine und wild um sich schlagenden kleinen Fäuste ignorierte er einfach.

„Hallo, David.“, sprach er den Jungen an. Langsam beugte er sich hinunter und entfernte die letzten Fetzen des Hemdes. „Es ist Zeit fürs Abendessen!“

Und damit öffnete er sein Maul soweit er konnte, schlug die Zähne tief in Davids Schulter und riss das erste Stück Fleisch heraus. Der gellende Schmerzensschrei und das wilde Zucken des Leibes unter ihm machten ihn glücklich! Schmatzend kaute er, bis er alles heruntergeschlungen hatte. Dann richtete er den Blick wieder auf seine Mahlzeit, studierte sie und wählte schließlich den nächsten Happen aus.

Es würde ein ausgiebiges Schmausen werden. Und er würde dafür sorgen, das David ihn möglichst lange dabei unterhielt und erfreute. Dabei malte er sich schon aus, wie sein Kennenlernen mit Marie verlaufen würde. Er hoffte, sie wäre hübsch. Mit einem hübschen Mädchen ließen sich doch noch viel, viel mehr vergnügliche Dinge erleben!

Vor dem Essen.

Ende