Der leise Löwe

eine Erzählung von

Sebastian Domke

sebastian.domke@tintenkuenstler.de

© 2018

Tabeus flüstert unmerklich, seine Stimme verflüchtigt sich mit den an die Fensterscheibe drängenden Schneeflocken, die wie er, nur kurz wahrgenommen, als altmodischer Mucks der Natur in Vergessenheit geraten.

Obwohl ... die anderen Mitarbeiter eifern lieber schreienden Gurus nach, als dass sie ihn bemerkten. Ihn, der zu schüchtern für diese Welt ist und doch irgendwie durchkommt.

Wild diskutierend, die Köpfe errötet über die schweren Tische gebeugt, suchen sie nach der Lösung für das jüngste Problem: Dem Umsatzeinbruch des am Markt eingeführten Brotbackautomaten.

»Warum kein Werbespot, in dem Freunde, Nachbarn und Fremde mit Brot beschenkt werden? Und zwar mit Hilfe unseres neuen Automaten? Arme Menschen müssten weniger hungern und die Welt wäre einen Deut besser«. Ein geflüsterter Monolog von Tabeus, nichts weiter. Niemand misst seinen Worten Bedeutung bei.

Schneekörnchen tanzen wild an das Glas, dass die Geschäftswelt von der Anderswelt trennt. Frohlockend, ungezähmt und vergänglich — wie die leise Kraft, die in Tabeus wohnt. Für Ellenbogen-Bürohengste ein Schwächling, der zu zaghaft ist, um in dieser Welt zu bestehen. Für Gott ein stiller Held, der schon längst bestanden hat.

Heute Abend würde er Brote backen und der Tafel schenken.

In der Marketingabteilung weiß niemand von seinem Verkaufstalent und Einfallsreichtum, meist schiebt er sich in einem Mantel, der ihn unsichtbar machte durch die trophäenbehangenen Wände der Firma. Im Bewusstsein seiner Kollege verweilt er meist nur wenige Sekunden.

Was im emsigen Treiben unscheinbar in der Luft wabert, vermag für Gott wie ein Löwe zu brüllen, der für seine Gemeinschaft lebt und Großes bewegt.

Kein Schnee tanzt mehr vor dem Fenster. Aber Tabeus weiß, dass die weißen Punkte zurückkehren werden. Und mit ihnen die Eiskristalle, die Macht der Stille und der leisen, unauffälligen Worte.

Ende