Kürbisköpfeland

eine Kurzgeschichte von

Uwe Barth

© 2023

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blackglasses.de/Geschichten

u.barth@blackglasses.de
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Kürbiskopf & Titel-Bild: Kirsten Funke

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Sonstige Bilder: KI generiert mit Bing/Creator - 02.2024/KTH

1 Nacht der Schrecken

»Ich will aber!«, schrie Summer und stampfte mit dem Fuß auf den Boden. Dann drehte sie sich kurzerhand um und verschwand die Treppe hinauf. Nur Sekunden später wumste es durchs Haus, als sie die Türe ihres Kinderzimmers hinter sich zuschlug.

Ihre jüngere Schwester Estelle starrte einen Moment mit großen Augen auf ihre Mutter, dann machte auch sie sich an einen strategischen Rückzug. Einzig das dritte Kind blieb gelassen. Frida beobachtete das Ganze zwar sehr aufmerksam, widmete sich aber gleich wieder voll und ganz der Ratsche in ihrer Hand. Ein ums andere Mal kreiselte das hölzerne 'U' um die Stange und lies die Metallzunge erneut ohne Unterlass knatternde Geräusche erzeugen. Dazu kamen die Begeisterungsschreie — wenn man die Quietschtöne denn so nennen mochte — und feilten zusätzlich an den Nerven der anwesenden Erwachsenen.

Die warfen sich Schicksal-ergebene Blicke zu und seufzten unisono leise auf. Siebenjährige Mädchen wie Summer waren vernünftigen Argumentationen gegenüber nur sehr bedingt offen. Bei Estelle mit ihren fünf Lenzen sah es natürlich nicht besser aus. Und bei Frida mit ihren drei Jahren musste man sich vorsehen, sonst löste man unvermutet eine Warum-Frage-Kette aus, die wie eine Möbius-Schleife erst alles auf den Kopf stellte und dann nur wieder an den Anfang zurück führte.

* * *

Summer grummelte unzufrieden vor sich hin. Es war die Nacht von Halloween, doch ihr Rundgang durch die Nachbarschaft hatte nur spärliche Ergebnisse erbracht. Sie hatte es ihrem Papa doch gleich gesagt: »So früh ist doch keiner zu Hause! Da kriegen wir doch gar nix!« Aber hatte er auf sie gehört? Nein! Und wie schon im letzten Jahr wahr ihr Sammelsäckchen nicht einmal zur Hälfte gefüllt.

Also schaltete sie das Licht aus und kroch, angezogen wie sie war, ins Bett und unter die Decke. Es dauerte nicht lange, da wurde leise die Türe geöffnet. Das durch den Türspalt herein fallende Licht wurde kurz dunkler, als jemand ins Zimmer spähte, dann war die Tür auch schon leise wieder geschlossen worden.

Einige Zeit verstrich. Draußen war es nun endlich dunkel. Sie stieg aus dem Bett, zog die Schuhe wieder an und ihre Jacke und schlich zur Tür. Ganz langsam öffnete sie diese ein winziges bisschen und lauschte. Auf ihrer Etage war alles still, also schlich sie sich hinaus, dann langsam die Treppe hinunter. Aus dem Wohnzimmer drangen leise die Stimmen ihrer Eltern und des Besuchs. Und dieses nervige ratsch, ratsch, ratsch. Durch die Glastüre zum Treppenhaus hätte sie jemand sehen können, doch die Erwachsenen waren in ihre Unterhaltung vertieft. Also leise weiter und noch eine Treppe hinunter, dann durch den nur durch die Straßenlaterne vor dem Haus schummrig erleuchteten Gang zur Haustüre. Ein leises Klicken begleitete das Drehen des Schlüssels, dann endlich konnte sie hinaus schlüpfen.

Sie spähte die Straße hinauf und hinunter. Ja, das sah doch viel besser aus. Nebelschwaden hingen in der Luft, doch die Laternen und Kürbisköpfe leuchteten jetzt vor fast jedem Haus durch das Dunkel. Bei manchen waren es sogar dreie oder mehr. Gleich mehrere Gruppen von Kindern zogen lachend und rufend von Haus zu Haus. Keine davon befand sich jedoch direkt in ihrer Nähe. Einen Moment stand sie unschlüssig da.

Der volle Mond spähte eine Sekunde mit hellem Schein durch die dicken Wolken, dann war er auch schon wieder verschluckt worden. Plötzlich verdichtete sich der Nebel zu einem grauen geschlossenem Vorhang. Und dann ging das Licht aus. Und es wurde dunkel. So richtig dunkel!

2 Schrecken der Nacht

Jemand tippte Summer von hinten auf die Schultern.

»Ihhhhheehhhh!« Summer wendete sich so schnell um wie noch nie zuvor. Ihr Schrei riss ab, aber ihr Herz schlug derart, als wäre sie gerade ganz schnell gerannt. Vor ihr stand Estelle, die großen Augen weit geöffnet. Summer schaute an ihr vorbei zu ihrem Haus, dann blickte sie sich suchend um. Überall das Gleiche: die Fenster dunkel, Außenbeleuchtungen aus. Und still war es geworden. Keine Stimmen und vergnügten Schreie mehr von den anderen Kindern. Nichts. Gar nichts!

Der Mond trieb Schabernack mit ihnen. Einen Augenblick strahlte er hell auf, dann zeigten sich nur noch Teile von ihm und im nächsten Moment war er wieder ganz verschwunden. Die Schatten wurden lebendig. Wo eben noch ein Strauch oder eine Blume still gestanden hatte, schienen sich jetzt plötzlich kleine Männlein ein Stelldichein zu geben und Ringelreihe zu tanzen. Wie die Derwische drehten sie sich im Kreis. Dann waren sie plötzlich weg, nur, um an anderer Stelle wieder aufzutauchen.

Und mittendrin immer wieder das orangene Leuchten eines Kürbis. »Hier bin ich!« schienen sie ihnen zuzublinzeln, um gleich darauf schon wieder unsichtbar zu werden.

Der Wind frischte auf und zupfte heftiger an ihrer Kleidung und dem noch immer leeren Säckchen und verwirbelte den dichten Nebel, sodass man einmal in der einen, dann wieder in der anderen Richtung etwas besser sehen konnte. Estelles Hand schob sich in die von Summer, die gar nichts dagegen hatte. Langsam gingen sie das kurze Stück auf die Straße zu. Der Boden unter ihren Füßen fühlte sich fest an, doch für ihre Augen gab es nur ein Flirren von hellen und dunklen Flecken, die nicht eine Sekunde am Ort blieben. Daher schoben sie die Füße immer nur ein Stück nach vorne, tasteten vorsichtig mit den Schuhspitzen herum, bevor sie den nächsten Schritt wagten.

Ein Schaben ließ beide zusammenzucken und sich umwenden.

Der Körper war nicht zu erkennen, aber es musste ihn geben, denn ein Kürbiskopf schwebte vielleicht zwei Meter von ihnen entfernt in der Luft. Gerade drehte er sich so, das sein Gesicht sich ihnen zuwendete. Er war sehr gut zu erkennen, denn in seinem Inneren brannte ein helles Flämmchen. Und dann kam er auf sie zu!

Summer und Estelle kreischten auf, rannten das letzte Stück zur Straße hin. Diese Situation nutzte der Mond schamlos aus und versteckte sich ganz und gar hinter einer Wolke und blieb dort, womit es kaum mehr genug Licht gab, die eigene Hand vor den Augen zu erkennen. Es machte ›puff‹, und ein zweites mal ›puff‹, als die beiden gegen ein festes aber nicht zu sehendes Hindernis stießen. Das konnte eigentlich nicht sein, den vor nicht einmal einer Minute war auf der Straße niemand gewesen. Und doch hörten sie ganz deutlich ein »Umpf!« Und dann rollte ein Kürbiskopf gleich vor ihnen durch die leere Luft, stellte sich dabei auf seinem Weg von oben nach unten ein paarmal auf den Kopf, wie man das halt so sagt, und kam schließlich mit einem ›Patsch‹ auf dem Boden auf.


Das war ihm ganz offensichtlich nicht bekommen, denn das ehemals helle Licht flackerte und wurde merklich dunkler. Sein bis dahin durchaus freundlich wirkendes Gesicht verzog sich zu einem mürrischen Ausdruck und starrte sie vorwurfsvoll an.

»Könnt ihr denn nicht aufpassen?«, sagte der Kürbiskopf, woraufhin sich die beiden Kinder aufrichteten und losliefen.

Estelle schaute sich beim Laufen nach hinten um. Noch immer lag der zweite Kürbiskopf auf dem Boden und flackerte traurig. Doch der erste war inzwischen ebenfalls auf der Straße angelangt und folgte ihnen jetzt. Dabei schaukelte er hin und her, als könne sein unsichtbarer Körper ihn kaum tragen. Estelle zog Summer in eine andere Richtung, doch es half nichts. Zwar hatte der Kürbiskopf eindeutig Mühe, seine Richtung zu ändern, aber er schaffte es. Immerhin hatten sie durch das Manöver einen kleinen Vorsprung gewonnen.

* * *

Doch die Verschnaufpause währte nur ganz kurz, denn plötzlich hing ein eigenartiges Rauschen in der Luft. Es wurde lauter, und bald wurde den zweien klar, das da Flügel schlugen. Viele Flügel. Sehr viele Flügel! Und dann waberte das Schwarz über ihnen und um sie herum, als ein riesiger Schwarm Krähen um sie herumflog. Ein paar mal kam es vor, das ein Vogel nicht ganz ausweichen konnte und mit seinem Gefieder ein Gesicht streifte, was jedes Mal eine schrilles »Iieh« nach sich zog.

Summer und Estelle klammerten sich fest aneinander. Da zog eine der Krähen so dicht über ihre Köpfe weg, das ihre Krallen den beiden Mädchen durchs Haar streifte. Beide rissen die Münder weit zum Schreien auf, doch ganz genau in diesem Moment erblickten sie den Kürbiskopf ganz nah vor sich. Er wurde von zwei kurzen, dünnen Armen getragen, die an einem kleinen Körper festgemacht waren, der wirkte und gekleidet war, wie ein kleines Kind.

Einen Augenblick waren Summer und Estelle zu überrascht, um noch einen Laut von sich zu geben. Da bewegten die kleinen Arme den Kürbiskopf ein Stückchen höher, und das zu einer Grimasse verzogene Gesicht eines weiteren Mädchens erschien.

»Buhuu!«, schrien der Kürbiskopf und das Gesicht gleichzeitig.

»Ahhhh«, antworteten die Schwestern, zuckten zurück, verloren den Halt und saßen gleich darauf auf dem Boden.

»Ich will mit!« Das kam von Frida, welche die beiden Bodenhocker nun trotzt des schummerigen Lichts erkennen konnten.

»Je mehr, desto besser!«, tönte der Kürbiskopf und blickte erwartungsvoll über die anderen hinweg. »Also los! Auf geht's!«

Die Bodenhocker sprangen auf ihre Füße, schauten sich um und entdeckten einen aus weißem Nebel geformten Trichter, der seltsamerweise waagerecht in der Luft lag und mit seiner großen Öffnung auf sie zukam. Dann war er auch schon heran, hob sie allesamt vom Boden hoch und zog sie in sich hinein.

3 Willkommen im Kürbisköpfeland

Lautes Kreischen und Gejohle hing in der Luft und schien gar nicht enden zu wollen. Summer, Estelle, Frida und der Kürbiskopf, den Frida nach wie vor fest umklammert hielt, wurden vom schmalen Ende des Wirbels ausgespuckt. Dann fielen sie nach unten und machten dabei unfreiwillige Saltos. Gleich darauf piksten sie die Halme des größten Heuhaufens, den man sich nur ausmalen konnte, in jedes Stückchen unbedeckte Haut. Sie sanken tief in das warme weiche Heu hinein und kullerten dann langsam und wie von selbst an den Seiten hinab bis ganz nach unten auf den festen Boden.

»Noch Mal!«, kreischte Frida, klatschte dabei die Hände zusammen und hüpfte auf und ab.

Der Kürbiskopf war unterdessen auch angekommen. Er stemmte sich gerade auf zwei kleinen Beinen selber in die Höhe. Dann gab es noch zwei ›Plopp‹ zu hören, als links und rechts je ein Ärmchen aus ihm heraus stieß.

»Ah, viel besser!«, kommentierte er. »Wir sehen uns.«, rief er den drei Kindern zu und tippelte davon.

»Willkommen in Kürbisköpfeland! Bitte weitergehen, nicht stehenbleiben! Bitte verlasst die Landezone schnellst möglich!« Die Aufforderung kam von einem weiteren Kürbiskopf, der mit seinen Ärmchen in die Richtung winkte, in die sie sich begeben sollten.


Die drei Abenteurerinnen gingen los, blickten sich dabei aber über die Schulter um. Aus dem Wirbel kamen unablässig weitere Kürbisköpfe heraus gepurzelt. Ebenso die Krähen, doch die brauchten den Heuhaufen natürlich nicht und flogen einfach weiter. Doch hin und wieder entdeckten sie einen Wichtel in der Masse.

Mit großen Augen gingen sie weiter. Voraus sahen sie unzählige Tische und Bänke, alle mit Kerzen bestückt, die ein warmes Licht verbreiteten. Außerdem ein großes Podest oder eine Bühne. Viele Plätze waren durch Kürbisköpfe und Wichtel bereits besetzt, aber es gab noch reichlich Platz.

»Ah, Gäste, wie schön!« Ein Kürbiskopf tauchte neben ihnen auf, eine Schaffnermütze hing seitlich an ihm herab und gab ihm ein kesses Aussehen. »Kommt mit, ich zeige euch eure Plätze.« Mit diesen Worten wand er sich auch schon um und hüpfte ihnen voraus. Es war tatsächlich ein Hüpfen, immer mit beiden Beinchen gleichzeitig. Bald genug blieb er stehen, drehte sich zu ihnen um und wies mit einem Arm auf eine Bank, die ihnen genug Platz bot.

»Nochmals Willkommen! Seid ihr das erste Mal im Kürbisköpfeland? Ja? Oh, wie aufregend! Da wünsche ich euch ganz viel Spaß!«

* * *


Kaum das sie Platz genommen hatten, schoss ein Wichtel mit einer grünen Schürze heran. Er war so schnell, das die Schürze dabei hinter ihm her wehte wie eine Fahne. Estelle und Summer versuchten immer noch, eine bequemere Position zu finden, denn die Bank war äußerst niedrig und die Kante des Tisches davor stieß ihnen gegen die Knie. Einzig Frida hatte keine Probleme.

»Was möchtet ihr gerne? Wir haben Apfelsaft, Birnensaft, Honigwasser, Goldbeerensaft, allerlei Limonaden, ...« sprudelte es aus dem Wicht hervor, »... Pfannkuchen, süße Crêpe, Poffertjes, ...«, ging es weiter und er schien gar kein Ende zu finden, ›... Karamellen, Lutscher, Bonbons, Gummibärchen,...‹. Doch als er einmal Luft holen musste, zählten die drei ganz schnell und gleichzeitig alles auf, was sie gerne haben mochten.

Der Wichtel schloss die Augen, dann machte es plötzlich ›plopp, und-plopp das-plopp da-plopp und hier-plopp‹, und schon standen all die Leckereien vor ihnen.

Links, rechts und gegenüber nahmen Wichtel und Kürbisköpfe Platz, begrüßten sie freundlich und auch neugierig. Sie erzählten ihnen von den vergangenen Feiern hier in Kürbisköpfeland und machten sie darauf aufmerksam, wenn sich auf der Bühne etwas Interessantes tat.

Wie zum Beispiel das Schaukelpferd, das einen Stepptanz hinlegte, das es nur so klackerte und einen riesigen Applaus erntete. Das Pferdchen hatte es Frida besonders angetan, denn sie stürmte nach vorne, hinauf auf die Bühne und schon saß sie im Sattel. Und dann galoppierten die zwei zwischen den Tischen und Bänken hindurch und wieder zurück auf die Bühne. Da hob das Schaukelpferd die Vorderläufe so weit in die Luft, das Frida von seinem Rücken rutschte und ihren Popo gleich darauf an den Bühnenboden presste.

Für einen winzigen Augenblick war es da ganz still geworden, doch Frida lachte laut auf und klatschte die Hände wieder und wieder zusammen. Und da stimmten alle anderen mit ein.

Aber auch das Nussknacker-Ballett war großartig. Natürlich waren alle Tänzer Nussknacker, da war es zuweilen doch etwas schwierig, die Titelfigur zu identifizieren. Das konnte die allgemeine Begeisterung jedoch nicht bremsen.

So verging die Zeit. Wichtel mit grünen Schürzen tauchten wieder und wieder auf und es machte immer wieder Plopp und alle hatten einen Riesenspaß. Doch irgendwann hatten unsere mutigen Heldinnen dann doch genug.

Auf die Frage, wie lange das Fest denn noch ginge, rief eine nette Kürbiskopf-Dame auf ihrer Bank fröhlich aus: »Natürlich noch bis nächstes Halloween!«

4 Auf einen Sprung nach Hause

Frida gluckste vergnügt, doch Summer und Estelle sahen sich erschrocken an. Sie hatten keine Ahnung, wie lange sie schon im Kürbisköpfeland waren, aber so lange wollten sie dann doch nicht bleiben.

»Wir würden jetzt gerne zurück nach Hause.«, sagte Estelle zu dem Kürbiskopf zu ihrer linken Seite.

»Echt?«, wunderte sich dieser. »Ihr seid doch eben erst gekommen!«

»Ja, in echt!«

»Na, gut, ihr Langweiler. Tschüss!« Und damit wendete sich der Kürbiskopf von ihr ab.

»Hey! Und wie kommen wir nun zurück?!« Doch der Kürbiskopf neben ihr beachtete sie gar nicht mehr.

»Ts, ts, ts.«, erklang es da hinter ihr. »Immer das selbe. Diese Kürbisse sind ja solche Sturköpfe!« Die Worte kamen von einem Wichtel, diesmal einer ohne Schürze, dafür mit einer roten Fahne in den Händen, die er unentwegt schwenkte. »Folgt mir nach, ich bringe euch zum Absprungpunkt.«

Und damit ging er los und schritt dabei weit aus. Also weit für einen Wichtel, doch er kam doch zügig voran. Summer und Estelle sprangen von der Bank auf. Als Frida sich nicht rührte, fackelten sie nicht lange: jede schnappte sich einen Arm von Frida und dann zogen sie sie einfach hinter sich her. Das war gar nicht so einfach und schon recht anstrengend, den Frida entdeckte jeden Augenblick etwas anderes, und wollte stehen bleiben oder gar in eine ganz andere Richtung gehen. Die Pimpfige wusste einfach nicht, wann es genug war.

Eine ganz schön lange Strecke mußten sie dem Wichtel folgen, dann endlich erreichten sie den Absprungpunkt. Der, so zeigte sich da, war ein großes Trampolin über dem ein weiterer Nebeltrichter schwebte. Dieser hier stand aber aufrecht, das dünne Ende dem Trampolin zugewandt, jedoch einige Meter darüber.

»Habt ihr alle drei das selbe Ziel?«

Estelle und Summer nickten, während Frida nur missmutig das Gesicht verzog.

»Okay, dann rauf mit euch. Denkt daran, wo ihr hin wollt und dann springt ihr hoch in den Trichter.« Der Wicht wollte schon gehen, als er noch hinzufügte: »Und wann ihr da sein wollt.« Und weg war er.

Also erklommen die drei Mädchen das Trampolin, oder, naja, zwei der Mädchen kletterten und das dritte wurde einfach mitgezogen. Dann standen sie in der Mitte und sahen hoch zum Wirbel. Summer und Estelle blickten sich an, Frida noch immer an den Armen zwischen sich haltend.


Und dann begannen sie zu hüpfen. Erst nur zaghaft, aber das brachte sie nicht annähernd an den Nebeltrichter heran. Also legten sie sich ins Zeug und gaben alles. Zumindest dieser Teil schien Frida zuzusagen, denn sie war eindeutig die Eifrigste beim Hüpfen.

So stiegen sie mit jedem Mal ein bisschen höher und reckten die Arme nach oben. Und dann hoben sie ein letztes Mal ab, kamen ganz nah an den Nebeltrichter heran und es zog sie höher und höher und in den Trichter hinein.

* * *

Im Trichter war alles weiß-grau, also exakt die Farbe, die Nebel eben so hatte. Daher waren sie überrascht, als es plötzlich abwärts ging, aber unter ihnen immer noch alles grau-weiß war und nichts zu erkennen. Es dauerte aber gar nicht lange, da knackste und knirschte es, als sie durch Zweige fielen und dann landeten sie etwas unsanft auf dem Boden. Der war zum Glück relativ weich und krümelig, so das sich keine von ihnen ernstlich weh tat.

Sie richteten sich auf und für einen Moment schien der Mond strahlend hell. Summer erkannte da sofort wo sie waren. Sie standen im Vorgarten von ihrem Haus, keine fünf Meter von der Haustüre entfernt. Schon war es wieder dunkel. Sich immer noch an den Händen haltend, Frida zugegebenermaßen nicht ganz freiwillig, tasteten sie sich bis zur Haustüre vor.

Einen Moment lang glaubte Summer, sie habe den Haustürschlüssel verloren, doch dann entdeckte sie ihn doch noch ganz unten in einer der Hosentaschen. Sie brauchte ein Weilchen, den Schlüssel ins Schloss zu stecken, denn ohne etwas sehen zu können musste sie alles mit den Fingerspitzen ertasten. Dann war es soweit, sie schloss auf. Und mit einem Mal gingen die Lichter wieder an, hinter den Fenstern und auch die Straßenlaternen. Und von dem dichten Nebel waren nur noch einige Schwaden vorhanden.

Leise öffneten sie die Haustüre, gingen hinein, dann durch den wieder nur schwach erleuchteten Flur und einmal die Treppe hinauf. Dort angekommen spähten sie vorsichtig um die Ecke durch die Glastüre. Summer kam es seltsam vor, denn die Erwachsenen unterhielten sich noch immer.

Sie hatten es gerade die ersten Stufen der Treppe zur ihrem Kinderzimmer geschafft, da hörten sie eine deutlich lautere Stimme.

»Wo steckt Frida denn?« Und dann kamen die Geräusche aus dem Wohnzimmer, die Eltern immer machen, wenn sie sich auf die Suche nach einem ihrer Kinder machten: leises Geschirrklirren, Stühle rücken, tapp-tapp-tapp von schnellen Schritten.

Summer und Estelle ließen Frida los und spurteten den Rest der Treppe hinauf und dann geschwind jede in ihr eigenes Zimmer. Dort hörten sie noch, wie sich die gläserne Wohnzimmertüre öffnete und dann eine Stimme: »Nanu, Frida, wie kommst du denn hierher?«

Epilog

Am folgenden Morgen starrte der Papa von Summer und Estelle etwas verwirrt in seinen Frühstückskaffee. Er hatte eben seine Töchter geweckt und dabei ein paar Dinge bemerkt, die er sich nicht erklären konnte. Schuhe, Jeans und Jacken der Mädchen waren voll mit Gartenerde. Auch die Sammelsäckchen vom vorigen Abend waren damit überzogen.

Doch nicht nur das: sie waren auch derart prall gefüllt mit Süßigkeiten, das sie sich gar nicht mehr richtig schließen ließen ...

Ende